Foto: Andreas Schlichter

Freiwillig engagiert

Der Gesellschaft einmal etwas zurückgeben. Das ist beispielsweise in Form eines Freiwilligen Sozialen Jahres möglich. Aber wie sieht ein solches Jahr aus – und welchen Mehrwert hat es für die Gesellschaft und den Freiwilligen?

Gerade in sozialen Berufen bietet es oft große Entlastung: Das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ). Seine Wurzeln hat es im Jahr 1954, als die Kirchen junge Frauen dazu aufriefen, ein Jahr lang Kranke und Pflegebedürftige zu unterstützen. Damit sollte der Einzelne der Gesellschaft etwas Gutes tun. Auch heute hat der Freiwilligendienst, der sich an Interessierte ab 16 Jahren richtet, eine hohe Bedeutung, doch haben sich die Beweggründe geändert. „Die meisten Menschen kommen aus der Schule und wissen noch nicht so recht, wo sie hin wollen“, so Dominik Steinmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Rheinland-Pfalz/Saarland. „Viele möchten sich selbst etwas Zeit verschaffen, um sich klar zu werden, wo ihre Stärken liegen und welche berufliche Richtung sie einschlagen möchten. Dabei wollen einige auch in den sozialen Bereich reinschnuppern und schauen, ob das vielleicht etwas für sie ist.“ Dennoch gäbe es auch heute noch solche, die trotz eines sicheren Ausbildungs- oder Studienplatz einen Dienst an der Gesellschaft leisten möchten. „Allerdings muss man da ehrlicherweise auch sagen, dass die Zahl derer abnehmend ist. Das waren früher mehr, die gesagt haben, sie wollen der Gesellschaft ein Jahr zurückgeben, sich in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Dieser Idealismus-Faktor ist noch da, aber bei weniger Leuten“, so der Sozialpädagoge.

Das Engegement im FSJ ist für alle ein Gewinn, bestätigen alle, die es mit­ge­macht haben – Foto: Getty Images / Fatcamera

Woran das liegen könnte, sei schwer zu sagen. Große Konkurrenz zum FSJ seien beispielsweise Angebote im Ausland, wie Work and Travel. „Das sind auch spannende Erfahrungen, die einem FSJ dann oft vorgezogen werden“, so Steinmann. Nicht zu unterschätzen sei aber auch die mangelnde Wertschätzung gegenüber den Freiwilligendiensten. Oft höre man von Bekannten oder gar Familienmitgliedern, die dazu raten, „doch etwas Richtiges zu machen“. „Einige sagen, so ein Freiwilligendienst sei verlorene Zeit. Das finde ich schade“, sagt der Pädagoge. Dabei sei ein FSJ alles – aber keine verlorene Zeit: „Die allermeisten Freiwilligen haben sehr viel für ihre persönliche und berufliche Entwicklung mitgenommen. Deswegen kann ich nur jedem ans Herz legen, sich die Zeit zur beruflichen Orientierung zu nehmen. Dabei geht es nicht darum, nach dem Freiwilligendienst zwingend in einem sozialen Beruf zu arbeiten. Auch wenn man feststellt, dass der soziale Bereich beruflich nicht zu einem passt, nimmt man viel an wertvoller Lebenserfahrung mit und man kann einen Berufszweig für die eigene Berufswahl ausschließen. Auch das ist ein Erfolg.“

Doch nicht nur aus dem persönlichen Umfeld mangele es oft an Wertschätzung, beklagt er: „Die Wertschätzung durch die Politik fehlt ebenfalls an vielen Stellen. Wenn ich mir anschaue, dass Soldaten in Uniform kostenfrei Bus und Bahn fahren – das ist sehr schnell über die Bühne gegangen, da gab es keine große Debatte. Das ist grundsätzlich auch gut so: Soldaten leisten einen wichtigen Dienst an der Gesellschaft! Aber auch Freiwillige tun das, weshalb auch sie kostenlosen Zugang zum ÖPNV erhalten sollten. Sie sind sozusagen das Schmierfett der Gesellschaft: Ohne sie würde vieles nicht mehr rund laufen.“

Wertvolle Lebenserfahrung

Wie wichtig dieses Engagement ist, zeigt nicht zuletzt auch die Diskussion um die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahrs. „Der Paritätische ist kein Freund des Pflichtdienstes“, so Dominik Steinmann. „Wir sind der Meinung, dass dadurch auch Leute in den sozialen Bereich gedrängt werden, die daran gar kein Interesse haben. Das würde weder den Menschen etwas bringen, die helfen müssen, noch denjenigen, die diese Hilfe benötigen. Wenn ein Rentner im Seniorenheim von jemandem betreut werden soll, der darauf gar keine Lust hat, dann hat auch der Rentner keinen Mehrwert davon.“ Viel eher sollte der Freiwilligendienst attraktiver gestaltet werden, um mehr junge Menschen davon zu überzeugen: „Mehr Taschengeld, kostenloser Bus- und Bahnverkehr, Vergünstigungen auf Kinobesuche. Auch bei Bewerbungen um Studienplätze oder eine Ausbildung im öffentlichen Dienst sollte ein FSJ ein größerer Vorteil sein als bisher gegenüber denen, die keinen Freiwilligendienst gemacht haben“, fordert er daher.

Lisa Dietz ist eine von denen, die auch ohne diese Anreize freiwillig hilft. Im vergangenen Jahr hatte sie sich dazu entschlossen, ein FSJ zu beginnen. Eingesetzt ist sie in der Hauptgeschäftsstelle von „Miteinander Leben Lernen“ (MLL), einem Verein zur Förderung des gemeinsamen Lebens und Lernens von Menschen mit und ohne Behinderung, in der Abteilung „Freizeit Inklusive“ (FI). „Ich helfe dort bei der Organisation und teilweise auch der Durchführung verschiedenster Freizeitangebote wie zum Beispiel Ferienfahrten, Festivals, Workshops und Bildungsseminare, Tagesausflüge in den Ferien und Kletterfahrten“, erzählt die 19-jährige. So verbrachte eine Gruppe beispielsweise einen Tag auf dem saarländischen Alm Open Air. Regelmäßig begleitet sie zudem Gruppen bei verschiedenen Aktivitäten wie Kochen oder Klettern. „Alle zwei Wochen kochen wir gemeinsam. Die Teilnehmenden entscheiden selbst, was gekocht werden soll und wir gehen gemeinsam einkaufen, schneiden die Zutaten klein, kochen und essen zusammen, räumen gemeinsam wieder auf und manchmal bleibt auch noch Zeit, etwas zusammen zu spielen – zum Beispiel Tischkicker“, erzählt sie lächelnd.

Die Arbeit bei MLL ist Lisa Dietz nicht neu: „Ich habe schon etwa ein Jahr vor meinem FSJ ehrenamtlich hier gearbeitet“, sagt sie. Letztes Jahr nach dem Abitur dann die Entscheidung, dieses Engagement zu einem FSJ auszuweiten. „Ich war mir nach meinem Abitur nicht ganz sicher, ob ich einen Beruf im sozialen Bereich ausüben möchte. Als ich dann erfahren habe, dass es möglich wäre, ein FSJ bei FI zu machen, war das eine optimale Lösung für mich“, erklärt sie ihre Entscheidung. Bereut hat sie es auch nicht: „Die Arbeit macht mir sehr viel Spaß. Ich habe bei dieser Arbeit schon viele verschiedene Leute kennengelernt, sowohl Teilnehmende, als auch Assistenten betreffend. Ich finde toll, mit wie viel Spaß die Assistenten bei der Sache sind und es ist schön zu sehen, dass man den Teilnehmenden etwas Gutes tun kann.“ Aber auch persönlich hat sie von ihrem Engagement profitiert: „Die Arbeit im FSJ und bei MLL hat mir vor allem geholfen, nicht mehr so schüchtern zu sein und offener zu werden“, so Lisa. „Vor allem aber bin ich mir durch das FSJ auch sicher, dass ich im sozialen Bereich bleiben möchte.“ Eine Entscheidungshilfe, die die junge Frau nicht missen möchte.

„Das Engagement ist noch da“

Neben der Arbeit besteht ein FSJ auch aus einem weiteren entscheidenden Teil: den Seminarwochen. „Der Grundgedanke der Seminare ist der, dass die Arbeit in sozialen Berufen ein unglaublich vielseitiger Arbeitsbereich ist. Die FSJ-Teilnehmer verbringen aber die meiste Zeit in ihrer Einsatzstelle, also einem bestimmten Teilbereich. Da es ein Berufsorientierungsjahr ist, wollen wir aber, dass die Freiwilligen auch Einblicke in andere soziale Berufe bekommen und einmal über den Tellerrand hinausblicken“, erklärt Dominik Steinmann. Hierfür werde mit vielen Experten und Einrichtungen in engen Kooperationen zusammengearbeitet. Die Gruppen werden dabei von einer Gruppenleitung unterstützt. „Am besten hat mir der Ausflug nach Trier in den „Dialog im Dunkeln“ gefallen“, erinnert sich Lisa Dietz zurück. „Wir haben dort erlebt, wie Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen oder Blinde die Welt um sie herum wahrnehmen. Man wird dort mithilfe eines Blindenstockes und von der Stimme eines Guides, der selbst nur eingeschränkt sieht, durch verschiedene Szenarien wie zum Beispiel einen Park oder einen Markt geführt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass man, ohne etwas zu sehen, erst einmal ziemlich orientierungslos ist und man sich plötzlich viel stärker auf seine anderen Sinne verlassen muss.“ Auch die Grundlagen der Gebärdensprache, Zivilcourage Trainings, Selbstversuche im Rollstuhl, Hospitationen und vieles mehr können Teil eines solchen Seminars sein. „Total interessant fand ich auch, als DogTher uns mit ihren Therapiehunden besucht haben. Uns wurde erzählt und gezeigt, was Therapiehunde und generell auch Tiere in den verschiedensten Fällen bei Patienten bewirken können und wie positiv sich Begegnungen mit Tieren bei vielen Menschen auswirken“, ergänzt Lisa Dietz.

Doch bietet der Paritätische im Saarland nicht nur das klassische FSJ an. Im „FSJ Politik und Demokratie“ sollen junge Menschen für die politische Arbeit interessiert werden. Entstanden ist es auf Initiative des saarländischen Sozialministeriums. „Es ermöglicht jungen Menschen, in administrative und politische Prozesse reinzuschnuppern. In der Politik hat man selten die Gelegenheit, hinter die Kulissen zu schauen. Das FSJ Politik bietet dazu die Möglichkeit“, erklärt Dominik Steinmann. In den Seminaren, sagt er, liege daher auch ein besonderer Fokus auf politischen Themen. Dennoch soll auch hier der soziale Aspekt nicht verloren gehen. Denn soziales Engagement ist unabdingbar für eine demokratische Gesellschaft.

Es geht auch darum, einen Einblick über den eigenen Tellerrand zu bekommen, sagt Dominik Steinmann – Foto: Andreas Schlichter

 

Aber ist unsere Gesellschaft denn überhaupt noch sozial? „Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Es gibt viele Menschen, die sich sozial engagieren – schauen wir uns nur das Ehrenamt an. Vereine, Jugendorganisationen, auch das FSJ. In manchen Bereichen ist das vielleicht rückläufig, aber das Engagement ist noch da“, ist Dominik Steinmann sich sicher, ergänzt aber dennoch: „Wenn ich das jetzt über die gesamte Gesellschaft hinweg betrachte, glaube ich allerdings nicht, dass wir eine sonderlich soziale Gesellschaft sind. Aktuelles Beispiel: Die Panikkäufe vor dem Hintergrund des Corona-Virus. Da denkt im Grunde jeder an sich selbst und wenig solidarisch. Es ist in meinen Augen nicht sozial, wenn ich beispielsweise Atemmasken bunkere, die an anderen Stellen dringender nötig wären.“

Ein FSJ, da ist er sich sicher, kann dazu beitragen, die Gesellschaft wieder etwas offener und sozialer zu machen. „Gerade im Hinblick auf soziale Berufe, die oftmals wenig Anerkennung erhalten oder auch vergleichsweise schlecht bezahlt werden, fände ich es gut, wenn mehr Menschen durch einen Freiwilligendienst einen Einblick in diesen Bereich bekommen würden und dadurch auch sensibilisiert werden für die Leistungen, die die Kolleginnen und Kollegen trotz mangelnder Anerkennung tagtäglich leisten“, erklärt er. „Das könnte langfristig vielleicht auch ein gesellschaftliches Umdenken herbeiführen.“ Auch Lisa Dietz ist sich sicher, dass ein Jahr Freiwilligendienst keinem schaden würde: „Meiner Meinung nach sollten viel mehr Menschen und vor allem auch junge Erwachsene, die vielleicht gerade die Schule abgeschlossen haben, ein FSJ machen“, appelliert sie. „Ein FSJ ist eine super Möglichkeit, einen Einblick in den sozialen oder auch politischen Bereich zu erlangen. Die Arbeit im FSJ macht viel Spaß und ist vor allem eine Hilfe, sich ans Arbeitsleben zu gewöhnen und sich in der Arbeitswelt zu orientieren.“

 

Autorin: Svenja Welsch, Original-Quelle: https://magazin-forum.de/de/node/18326

 

Info

Das Kompetenzzentrum Freiwilligendienste des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Rheinland-Pfalz/Saarland bietet jungen Menschen die Möglichkeit in Form eines FSJ oder Bundesfreiwilligendienstes ein Jahr in einem sozialen Beruf arbeiten und den Alltag kennenzulernen. Jährlich werden etwa 600 bis 700 Freiwillige von den dort angestellten Bildungsreferenten betreut.

 

Leitung: Tamara Gassner und Melanie Müller

fwd@paritaet-freiwilligendienste.de